Richard Strauss 1945

Richard Strauss 1945.

Eine Filmrolle und ihre Geschichte

Die Geschichte einer nie gezeigten Filmrolle die Richard Strauss in seinem Garten zeigt. Die Besuche von Klaus Mann und einem Kamerateam von William Wyler in Garmisch 1945. Der große alte Meister der europäischen Klassik und sein Verhalten im Nazi-Reich.

Seit einigen Jahren habe ich in den National Archives in College Park nach Filmmaterial zur deutschen Geschichte gesucht. Dabei fiel mir Material auf, mit dem ich zunächst nur wenig anfangen konnte. Aber wie immer knüpfen sich an solche Aufnahmen Geschichten, die Material für eine spannende Reportage sein können.

William Wyler in als Kriegsreporter Deutschland

Der Komponist Richard Strauss wurde Anfang Juni 1945 in seinem Garten in Garmisch gefilmt. Damals, im Frühjahr 1945 kam der Filmregisseur William Wyler mit einem Filmteam der US Air Force nach Süddeutschland. Wyler drehte in München, Berchtesgaden, Dachau und anderen Orten Farbfilmaufnahmen für den Kriegsfilm „Thunderbolt!“. Dabei entstanden die Aufnahmen eines Besuchs bei Richard Strauss in Garmisch-Partenkirchen.

Ein zumindest im Kontext dieser Filmaufnahmen von Wyler sehr ungewöhnliches Thema. Dieses Filmmaterial wurde nie veröffentlicht, weil Wyler wegen des Kriegsendes nur den ersten seiner beiden geplanten Filme fertiggestellt hat. In den anderen erhaltenen Filmrollen, die ich zusammen mit Elisabeth Hartjens in den amerikanischen National Archives gesichtet und gescannt habe, filmen Wylers Kameraleuten vor allem die Auswirkungen der Bombardements deutscher Städte. Warum also Richard Strauss?

William Wyler und Richard Strauss

Wir sehen Strauss mit Pfingstrosen im Garten der Strauss Villa in der Zoeppritzstraße 42 in Garmisch. Über das Treffen von Wyler und Strauss ist bislang wenig bekannt. Strauss liest in der Partitur der Oper „Die Liebe der Danae“, die zwischen 1938 und 1940 entstand und die damals erst einmal im Sommer 1944 in Salzburg in einer öffentlichen Generalprobe aufgeführt worden war. Die Uraufführung der Oper fand erst 1952 in Salzburg statt. Ungewöhnlich am Stil der Aufnahmen sind die zahlreichen Close Ups von Richard Strauss. Derartige Porträtaufnahmen gibt es im Bestand dieser Wyler-Filme von keiner anderen Persönlichkeit.

Die US Army und die Strauss Villa

Garmisch-Partenkirchen war von der US-Armee am 30. April 1945 eingenommen worden. Am Tag von Hitlers Selbstmord. Ein Trupp der US-Armee drang in die Strauss Villa ein, um in dem prächtigen Haus Quartier zu machen. Der 80jährige Komponist stand also – in Garmisch fiel an diesem Tag Schnee – den nassen und abgekämpften GIs gegenüber. Er beschreibt in seinen Erinnerungen, dass er sich als Komponist des Rosenkavalier vorgestellt habe, woraufhin die Amerikaner gleich abgezogen seien. Einige beteiligte amerikanische Soldaten schildern die Begegnung jedoch etwas anders. Die Familie Strauss habe den GIs Essen serviert und im Wohnzimmer habe Richard Strauss am Klavier gespielt. Das nutzte wenig, die Familie Strauss musste das Haus tatsächlich für einige Stunden verlassen. Doch die Soldaten erhalten den Befehl sofort weiter Richtung Innsbruck vorzurücken, weshalb sie das Haus wieder verlassen. Warum die Amerikaner so plötzlich weiter mussten, hängt mit einer weiteren spannenden Geschichte zusammen – den Kämpfen im Inntal um Schloss Iter. Jedenfalls kann die Strauss Familie zurück in ihr Haus.

Lieutenant Alfred Mann

Am Abend desselben 30. April kam auch der Musikwissenschaftler und amerikanische Leutnant Alfred Mann zur Villa von Strauss – ihm ist Richard Strauss ein Begriff. Alfred Mann ist Sohn der Pianistin Edith Weiss-Mann. Ein emigrierter Kenner Deutschlands und Bewunderer von Strauss mit Einfluss nach oben. „When the tall, imposing figure of the eighty-year old man appeared in the door frame, it seemed to me as if a chapter from music history were opening before my eyes“. Jedenfalls wird die Strauss Villa nach dem Eintreffen von Alfred Mann „off limit“ – die US Armee hält nun die Hand über das Haus des berühmten Komponisten und es entspinnt sich im Mai 1945 ein reger Besuchertourismus bei Richard Strauss. Alfred Mann hat nichts zu tun mit einem weiteren Mann, der Strauss besuchen wird. Dieser Mann ist kein Geringerer als der Sohn von Thomas Mann.

Klaus Mann über Richard Strauss

War Correspondent Klaus Mann

Klaus Mann trifft Richard Strauss am 15. Mai, an einem herrlichen Sommertag, wie er schreibt. Stammen die Aufnahmen aus diesem Zusammenhang? „I thought it wiser not to disclose my identity“, notiert Klaus Mann. Am Tag zuvor hatte er in München sein zerstörtes Elternhaus in der Poschinger Straße besucht. Den Verlust von Status und Existenz schmerzlich erfahren. Nun also inkognito zu Besuch in der herrschaftlichen Villa eines Künstlers, der in Nazi-Deutschland geblieben war. „He finds celebrated German composer living in good comfort“.

“Von Cpl. KLAUS MANN Mitarbeiter Korrespondent GARMISCH-PARTENKIRCHEN (Bayern). 26. Mai (verzögert) – Dieses Bergdorf war in der Vorkriegszeit einer der angesagtesten Winter- und Sommerorte Deutschlands. Jetzt gibt es keine glamourösen Touristen, aber das malerische Garmisch kann sich immer noch mit einigen berühmten Anwohnern rühmen. Einer von ihnen ist der berühmteste lebende Komponist der Welt, Richard Strauss.

Ich machte die ziemlich lange Reise von München aus, um den großen alten Mann der europäischen Musik zu sehen. Ich wollte nicht nur seinem kreativen Genie Tribut zollen, sondern auch einen alten Opportunisten, dessen Verhalten in den vergangenen 12 Jahren ziemlich unappetitliche Geschichten erzählt hat. Ich denke, es wäre interessant zu hören, was Strauss unter dem NS-Regime selbst erlebt hatte.

Der Komponist und seine Familie befinden sich in einer komfortablen, geräumigen Villa, die von einem großen, gepflegten Garten umgeben ist. Mein Gefährte und ich stellten uns als “zwei amerikanischeKorrespondenten” vor. Ich hielt es für klüger, meine Identität nicht preiszugeben.”

(…) “…tatsächlich sah er überraschend gut erhalten für einen Mann von 83 aus. Sein Gesicht mit seinem rosigen Teint strahlte gelassen unter seinem silbernen Haar. Es war nichts seniles an ihm. Keine weiteren Pläne Doch als wir ihn nach seinen künstlerischen Plänen befragten, schüttelte er den Kopf mit einem philosophischen Rücktritt: “Keine Pläne mehr für mich! Ich habe 15 Opern geschrieben, ganz zu schweigen von meinen symphonischen Stücken und meinen vielen Liedern. Das reicht für eine Lebenszeit. Glauben Sie nicht, ich hätte etwas Ruhe verdient? ”

Wir stimmten zu und hörten dann respektvoll auf seine Beschwerden über den Umgang des verstorbenen NS-Regimes mit seiner neuen Oper “Die Liebe der Danae”. Der Meister ärgerte sich über eine solche mangelnde Rücksichtnahme einer Regierung, mit der er sonst korrekte, wenn auch nicht freundliche Bedingungen gehabt hatte. “Natürlich”, sagte er, “dies war nicht der erste beunruhigende Vorfall. Ich hatte zwei ziemlich schwere Konflikte mit der NS-Administration.”

„Three German Masters“

Klaus Mann versucht in „Three German Masters“ (Strauss, Emil Jannings, Franz Lehar) dem Opportunismus derjenigen Künstler nachzuspüren, die mit Hitler paktierten. Obwohl sie aufgrund ihres internationalen Ruhms ohne Schwierigkeiten dem Regime den Rücken hätten kehren können. Das Gespräch zwischen Klaus Mann und Richard Strauss dreht sich tatsächlich auch um die „Liebe der Danae“, die am 5. August 1944 in Salzburg hätte uraufgeführt werden sollen – allerdings wurde die Aufführung wegen des Attentats von Graf Stauffenberg abgesetzt. Strauss deutet die Absetzung seines Stücks als „Konflikt“ mit dem Regime – wie Klaus Mann mit Anführungszeichen ironisierend vermerkt. Damals waren tatsächlich die Salzburger Festspiele abgesagt worden – nicht ein einzelnes Stück von Richard Strauss.

Welchen Zusammenhang gibt es zu Wylers Filmmaterial?

Karteikarte Strauss 1945 NARA

Wylers Filmmaterial

Die Filmkamera von Wyler geht nicht zufällig genau auf dieses Stück „Die Liebe der Danae“ ein. Die Szenen des Rohmaterials sind durchgehend inszeniert, von den Pfingstrosen (die im Rohmaterial 2 mal gedreht ist) bis zu den Close Ups des leise singend in der Partitur lesenden Komponisten. Klaus Mann schildert sein Gespräch „in front of his stately villa, under the beautiful trees of his large well-kept garden“. Und erwähnt, dass er zwei Begleiter hatte. Genau dort nimmt die Kamera Richard Strauss ins Visier und versäumt nicht, zuvor ein Symbol für den herrlichen Garten zu finden.

Was in den National Archives vermerkt ist

Allerdings vermerkt die Karteikarte zu dem hier gezeigten Filmmaterial als Aufnahmezeitpunkt der „Can 9224-1“ den Monat Juni 1945. „Medium shot small hut in the Bavarian Alps – old man picking flowers in foreground – man in Richard Strauss“ und „Date Photo’d: June 1945“. Das Filmmaterial wurde im Juni 1945 zur weiteren Bearbeitung in New York erfasst. Während Klaus Manns Besuch wurde das Material mit Sicherheit nicht gedreht. Aber William Wyler kennt Klaus Mann aus Hollywood. Manns Bericht von der Begegnung mit Richard Strauss erscheint am 29. Mai 1945 unter dem Titel „Strauss still unabashed about ties with the nazis“ in der amerikanischen Soldatenzeitung „The stars and Stripes“. Eine Tage nach dem Artikel von Klaus Mann schickt Wyler ein Team eigens nach Garmisch, das dort die Aufnahmen bei Richard Strauss dreht. William Wyler war nicht dabei, denn er war wegen einer Erkrankung bereits wieder nach Hollywood zurückgekehrt, wie seine Tochter berichtet hat. Was geht wirklich hinter der Stirn dieses weltberühmten Komponisten vor? „Die Liebe der Danae“ – ein Stück der heiteren Entsagung? Der naive Egozentriker? Der Opportunist?